Im aktuellen SPIEGEL 22/15 in „Knarre am Kopf“ geht es um mögliche Verfehlungen im Amt. In diesem Fall um Vorwürfe an einen Polizisten, seine Macht auf üble Weise missbraucht zu haben. „Leider“, so die Polizeigewerkschaft, „schwarzes Schaf!“ Gibt´s ja überall, die schwarzen Schafe… Auch Fälle von Amts,- Macht- oder sonstigem Missbrauch gibt es überall. Schwarze Schafe sind halt irgendwie auch menschlich!
Menschlich ist es auch, zu einer Gruppe dazu gehören zu wollen, Angst zu haben, durch Taten oder Worte aus dieser ausgestoßen zu werden, der mehr oder weniger innigen Verbindung verlustig zu gehen. Unter anderem geht es in dem Artikel auch darum und genau da liegt der Hase im Pfeffer: warum tun wir uns so schwer, solche Dinge zu melden?
Laut Spiegel waren, wenn nicht diese Vorfälle aber zumindest problematische Situationen, auch seit längerem bekannt. Es gab Beschwerden. Diese wurden weitergereicht, Überforderungen eingestanden, um Hilfe bei der nächsthöheren Dienststelle ersucht. Passiert ist: Nix!. Dann hat die Presse Wind davon bekommen und hast du nicht gesehen, auf einmal bricht hektische Aktivität aus. Ok, wie hektisch vermag keiner zu sagen, aber Aktivität allemal. Der Oberschte zitiert den Zweitoberschten zu sich, Vorwürfe werden laut, Unterlassungen beklagt und lückenlose Aufklärung (eine wahrhaft wohlfeile Worthülse) wird gefordert. Und, ganz klar, vertuschen geht gar nicht. Aber so was von gar nicht! Schweigen, wegschauen, verdrängen – ein Frevel. Und schwerer Fehler. Denn die Beamten, die nun, ob erstmals oder zum wiederholten Male, auf die Missstände aufmerksam machen, die sind gleich schon mal schuldig. Weil sie so lange geschwiegen haben. Man kann sich vorstellen, dass hier ein Dementi die vernünftigste Flucht nach vorn sein könnte. Getreu dem alten Griechen Solon „auch kundig schweige“!
Kann man ihnen einen Vorwurf machen, wenn sie das täten? (Was sie, laut Bericht, nicht getan haben). Wie sinnvoll ist es, mit dem Finger auf die zu zeigen, die sich endlich trauen, den Mund auf zu machen? Statt ihnen auf die Schulter zu klopfen und ein „gut gemacht“ zu zurufen?
In unserer Gesellschaft ist das Vereinsdenken stark ausgeprägt. Wir fühlen uns weniger der Rasse der Menschen, als unserer jeweiligen kulturellen, beruflichen, sportlichen, religiösen oder intellektuellen Gruppe zugehörig. Und da beschmutzt man doch sein eigenes Nest nicht!
Nö, aber man könnte doch so etwas wie Nesthygiene betreiben? Das ginge schon mal mit einem anderen Kommunikations- und Fehlerverständnis los. Wenn nicht die allgegenwärtige Angst, Fehler zu machen, unangenehm aufzufallen, aus der Gemeinschaft rauszufallen wäre, um wieviel leichter würde uns eine offene und tolerante Kommunikation miteinander fallen? Um bei den Schafen zu bleiben: wenn ein schwarzes Schaf in einer Herde nicht versteckt werden müsste, sondern sich offen zeigen könnte, so dass alle es sehen, mit ihm umgehen und auch des schwarzen Schafes Blick so in die Weite statt in die Enge richteten, wäre das für alle Schafe nicht viel besser? Auch für die Weißen? Die müssten sich dann nämlich nicht so viel Mühe damit geben, Mäuler, Augen und Ohren vor den (Un-)Taten des Schwarzen zu verschließen.
Um zu dem Beispiel im Artikel zurück zu kehren: da ist ein schwarzes Schaf und viele andere, meist weiße Tiere. Einige von ihnen sind hin und her gerissen und als sie endlich den Mut haben, und zum Wohle der Gemeinschaft den Mund auf machen, blöken die anderen Weißen alle rum und drängen sie aus ihrer Mitte hinaus. In die Grauzone. Aus weißen werden graue Schafe. Wieviele Schafe werden in Zukunft Lust haben, sich anblöken zu lassen?
Wie wäre es, wenn man die Schafe, ach nein, sorry, die Beamten statt dessen mal neugierig fragte, warum sie so lange geschwiegen haben? Und wie sie es geschafft haben, das Schweigen jetzt zu brechen? Was da vielleicht hilfreich war? Man könnte aus dem Schweigen lernen, statt es zu verteufeln. Es würde mich auch nicht überraschen, wenn genau die Angst vor Vorwürfen, zu lange nichts gesagt zu haben, dazu führte, dass wir lieber weg gucken und stille sind. Denn es stellt sich ja auch die Frage, wer den genau richtig, echten, wirklich perfekten Zeitpunkt fürs Reden bestimmt. Der Redner selber anscheinend jedenfalls nicht!
Ich wünsche mir, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft endlich verstehen, dass ein anderer Umgang mit uns, unseren Fehlern, unseren Potenzialen; mit unseren Mitmenschen und – oder: „aber“ – zuallererst mit uns selbst nötig ist. Dann können wir miteinander reden und uns womöglich sogar verstehen, lange bevor wir denunzieren müssen…